Sächsische Zeitung

Künstlerisches Genie hin oder her – manchmal entscheiden winzige Zufälle über den weiteren Verlauf von Musikerkarrieren. Das Leben des jungen amerikanischen Tenors Timothy Oliver wurde jedenfalls nach Abschluss seines Gesangsstudiums gründlich durcheinandergewirbelt, als er kurzfristig in einer „Così fan tutte“-Inszenierung in San Francisco eingesprungen war. Ein Agent hörte ihn und schlug ihm vor, in New York vorzusingen, wo eine Anzahl europäischer Operndirektoren auf der Jagd nach Talenten war. Oliver sagte zu, lernte über Nacht die Pedrillo-Arie „Frisch zum Kampfe, frisch zum Streite“ aus Mozarts Oper „Entführung aus dem Serail“. Und dann kam ein gewisser Herr Frey auf ihn zu und bot ihm einen Zweijahresvertrag an der Oper in Dresden an. Und Oliver dachte insgeheim: „Wo liegt dieses Dresden?“

Unbekanntes im Liedersalon

So wurde der Amerikaner, der damals bereits Engagements an Opern- und Konzerthäusern in Atlanta und Philadelphia vorweisen konnte, im Jahre 2005 festes Ensemblemitglied an der Semperoper. Inzwischen hat er sich in dieser nicht zu großen Stadt gut eingelebt, liebt die kurzen Wege, die er meist mit dem Fahrrad erledigt, und fühlt sich am hiesigen Haus bestens aufgehoben. Der gerade dreißig Jahre alte Sänger, für den Dresden sich als „perfekte Stadt“ zum Aufbau einer soliden Gesangskarriere erwiesen hat, studierte in den letzten vier Jahren fast vierzig Opernrollen ein. Gastspiele führen ihn an die Alte Oper in Frankfurt und zu den Bayreuther Festspielen. Sein letzter Liederabend hingegen liegt lange zurück – 2003 war es, zu seinem Diplom.

Auf eine Neuauflage im Rahmen des „Dresdner Liedersalons“ am kommenden Sonntag im Dresdner Coselpalais ist er gespannt. „Dieser Liederabend bedeutet für mich eine Chance, meine lyrischen Qualitäten zu zeigen und nicht nur eine kurze Phrase in „La Bohème“ zu singen. In den meisten Opernpartien singt man brutto 20 Minuten – ein Liederabend dauert eben eine Stunde! Das bringt die Stimme weiter, man wächst daran.“ Über die Möglichkeit, auf diese Weise das Dresdner Publikum mal von Nahem kennenzulernen, freut er sich. Erklingen werden am Sonntag Beethovens kleiner Zyklus „An die ferne Geliebte“ nach sechs Gedichten von Aloys Jeitteles, Lieder Felix Mendelssohns und des Komponisten Henri Duparc (1848-1933). Den Abschluss bilden drei für Sänger wie Pianisten äußerst anspruchsvolle Sonette von Franz Liszt, die — wie auch die Werke Duparcs – in Dresden nur selten zu hören sind.