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Der Tenor Timothy Oliver im zweiten Dresdner Liedsalon
Dieser Abend ist gelungen. Alles kommt gut zusammen, der Anlass, das Anliegen und der Anspruch. Im Dresdner Liedsalon singen Mitglieder des Solistenensembles der Semperoper zugunsten der Damm Rumpf Hering Kinderhilfe im Saal des Pianosalons, der sich im Coselpalais befindet. Für Musikfreunde der Stadt dürfte es ein willkommener Anlass sein, Sängerinnen und Sängern, die sie von der Opernbühne her kennen und schätzen, einmal als Liedinterpreten zu erleben. Für die Künstler ist es eine Chance, andere, bisweilen unbekannte oder sogar ungeahnte Facetten ihres Könnens zu präsentieren. Dass es die Träger dieser Veranstaltungen verstehen, im Ambiente des Salons eine so entspannte wie kommunikative Situation für spannende Kunsterlebnisse zu schaffen, macht diese Reihe ausgesprochen empfehlenswert. Die zuweilen zu stark vernehmbare akustische Konkurrenz aus dem Café sollte sich angemessen vermindern lassen.
Der junge Tenor Timothy Oliver aus Norfolk/Virginia in den USA, seit 2005 im Ensemble der Semperoper, bietet mit dem Dresdner Pianisten Michael Schütze ein höchst anspruchsvolles und interessantes Programm. Zu Beginn Beethovens Zyklus op. 68 „An die ferne Geliebte“ von 1816. Der Sänger und sein Begleiter fügen die sechs Lieder übergangslos zu einem Monolog und gestalten einen Spannungsbogen, der vom verzehrenden sehnsuchtsvollen Beginn „Auf dem Hügel sitz ich spähend“ zum versöhnlichen Ausklang „Nimm sie hin denn meine Lieder“ führt. Eine klare, direkte Interpretation, geradlinig im Klang und dem Text verpflichtet.
Leider ziemlich unbekannt dürften die Lieder des französischen Komponisten Henri Duparc sein, der von 1848 bis 1933 lebte und zu sehr individuellem impressionistischem Stil fand. Timothy Oliver macht uns mit vier Liedern bekannt und dabei mit einer weiteren Facette seines Gesanges. Für die ausladenderen Dimensionen dieser Stimmungsgemälde hat der Sänger den Vorrat an Klangfarben, und in der Stilistik findet er mit dem Pianisten nach Beethovens Direktheit zu indirekterer Gestaltung.
Prägend für die Liedgestaltung des jungen Tenors auf seinem sicheren Weg in lyrischere Gefilde ist die charaktervolle Tongebung bei ausgebildetem Gespür für Gefühl und Geschmack und ausgesprochen kommunikativem Talent. Das stellt er im zweiten Teil des Abends unter Beweis mit vier Liedern von Felix Mendelssohn Bartholdy, als individuelle Hommage an den Jubilar des Jahres und die romantische Tradition der Liedkunst. Zum Beschluss eine Steigerung in jeder Beziehung. Franz Liszt (1811–1886) sprengt mit seiner Komposition „Tre sonetti di Petrarca“ die Form des klassischen Liedes mit Klavierbegleitung. Hier meint man Opernszenen zu hören, hymnisch, kontemplativ oder schwärmerisch verhauchend, immer Gefühlsstimmungen, in denen der Dichter die geliebte Laura besingt. Die musikalische Gestaltung zitiert Dramatik und Melancholie des Belcanto, verlangt vom Sänger die glühende und höhensichere Tenorattacke ebenso wie die Pianokultur in allen Lagen der Stimme. Mit Bravour stellen sich Sänger und Pianist dieser Herausforderung in glücklichem Zusammenspiel. Für den Sänger markiert dieser Abend eine Station auf seinem bislang so erstaunlichen wie erfreulichen Weg, auf dem er hoffentlich klug beraten ist und sich Zeit lässt, bevor er zu ähnlichen Gipfelstürmen auf der Opernbühne ansetzt.
Der nächste Liedsalon ist schon geplant. Im Juni präsentiert Markus Marquardt ein Programm reinster Romantik mit Liedern von Robert Schumann und Heinrich Heine.
Boris Michael Gruhl